Die Sozialklausel kommt zum Tragen, wenn ein Grund für eine ordentliche oder außerordentliche befristete Kündigung des Vermieters zwar besteht, die Beendigung des Mietverhältnisses aber aus sozialen Gründen nicht zu rechtfertigen ist.
Gemäß § 568 Form und Inhalt der Kündigung
(1) …
(2) Der Vermieter soll den Mieter auf die Möglichkeit, die Form und die Frist des Widerspruchs nach den §§ 574 bis 574b rechtzeitig hinweisen.
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 568 Abs. 2 BGB soll der Vermieter den Mieter bei einer Kündigung auf die Möglichkeit des Widerspruchs wegen einer Härte gemäß den §§ 574 Widerspruch des Mieters gegen die Kündigung
(1) Der Mieter kann der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung…
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 574 BGB bis § 574b Form und Frist des Widerspruchs
(1) Der Widerspruch des Mieters gegen die Kündigung ist schriftlich zu erklären. …
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)574 b BGB sowie auf die Form und die Frist des Widerspruchs rechtzeitig hinweisen.
Eine Härte kann gegenüber einer außerordentlichen fristlosen Kündigung nicht geltend gemacht werden, § 574 Widerspruch des Mieters gegen die Kündigung
(1) … Dies gilt nicht, wenn ein Grund vorliegt, der den Vermieter zur außerordentlichen fristlosen Kündigung berechtigt.
…
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 574 Abs. 1 S. 2 BGB.
Vergisst der Vermieter den Hinweis in der Kündigung, kann der Mieter der Kündigung wegen Härte noch im ersten Termin des Räumungsrechtsstreits widersprechen. Der Vermieter ist für den rechtzeitigen Hinweis auf das Widerspruchsrecht beweispflichtig.
I. Form und Frist des Widerspruchs
Die Erklärung des Mieters, mit der er der Kündigung widerspricht und die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangt, bedarf der Schriftform. Der Widerspruch muss gemäß § 574 b Form und Frist des Widerspruchs
(1) …
(2) Der Vermieter kann die Fortsetzung des Mietverhältnisses ablehnen, wenn der Mieter ihm den Widerspruch nicht spätestens …
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 574 b Abs. 2 S. 1 BGB spätestens 2 Monate vor Ablauf des Mietverhältnisses erklärt werden.
Auf Verlangen des Vermieters soll der Mieter über die Gründe des Widerspruchs unverzüglich Auskunft erteilen, § 574 b Form und Frist des Widerspruchs
(1) … Auf Verlangen des Vermieters soll der Mieter über die Gründe des Widerspruchs unverzüglich Auskunft erteilen.
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 574 b Abs. 1 S. 2 BGB.
Der Mieter muss den rechtzeitigen Zugang des Widerspruchs nachweisen.
II. Härte
Der Mieter kann der Kündigung des Vermieters widersprechen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist, § 574 Abs. 1 S. 1 BGB. Voraussetzung ist also, dass für den Mieter oder dessen Familie eine Härte vorliegt, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist.
Die Frage der Anwendbarkeit der Sozialklausel soll nicht in die Prüfung verlagert werden, ob die Kündigung selbst berechtigt ist. Dies wird insbesondere bei einer Eigenbedarfskündigung immer wieder missachtet.
1. Einzelfälle
Namentlich benennt das Gesetz nur einen Härtefall. Eine Härte liegt danach insbesondere vor, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann, § 574 Widerspruch des Mieters gegen die Kündigung
(2) Eine Härte liegt auch vor, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann.
…
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 574 Abs. 2 BGB.
Weitere Fallgruppen gemäß § 574 BGB sind zu beachten:
a) ein alter Mensch wohnt bereits lange in der Wohnung (Verwurzelung)
Eine lange Mietdauer begründet noch keine Härte für den Mieter. Ihr wird bereits durch die verlängerte Kündigungsfrist gemäß § 573 c Fristen der ordentlichen Kündigung
(1) … Die Kündigungsfrist für den Vermieter verlängert sich nach fünf und acht Jahren seit der Überlassung des Wohnraums um jeweils drei Monate.
(Link: Gesetzestext hier im Internetauftritt)§ 573 c Abs. 1 S. 2 BGB Rechnung getragen.
Für die Annahme einer Härte müssen einhergehende gesundheitliche Beeinträchtigungen zu befürchten sein. Hohes Alter und Krankheit können eine Härte begründen.
b) der Mieter hat eine schwere Erkrankung
Eine schwere Erkrankung, auf deren Verlauf die mit einem Umzug einhergehenden physischen und psychischen Belastungen aller Voraussicht nach erheblichen negativen Einfluss haben werden, stellt in der Regel ein Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 S. 1 BGB dar (vgl. dazu www.juris.bundesgerichtshof.deUrteil des BGH vom 20. Oktober 2004, VIII ZR 246/03). Macht allerdings ein Mieter derart schwere Beeinträchtigungen geltend, so müssen sich Gerichte ggf. mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen für den Mieter mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen erreichen können und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann (vgl. dazu www.juris.bundesgerichtshof.deUrteil des BGH vom 15. März 2017, VIII ZR 270/15, Rdnr. 29).
c) Schwangerschaft
Im Einzelfall kann die Schwangerschaft einen Härtegrund bilden. Die Dauer bestimmt sich dann nach den Umständen des Einzelfalls.
d) Ausbildung, Kündigung kurz vor dem Abschlussexamen
Der Umzug kann bei Beendigung der Ausbildung eine Härte bedeuten.
e) hohe Investitionen in die Wohnung, die in Absprache mit dem Vermieter erfolgten
Wenn der Mieter mit ausdrücklichem oder auch stillschweigendem Einverständnis des Vermieters erhebliche finanzielle Aufwendungen getätigt und diese noch nicht abgewohnt hat, kann dies den Mieter ebenfalls hart treffen. Allerdings ist der Mieter nicht davor geschützt, dass sich Investitionen auch amortisieren. Ggf. muss ein Kündigungsausschluss bei Vornahme von Investitionen vereinbart werden (vgl. dazu www.juris.bundesgerichtshof.deBGH vom 20. März 2013, VIII ZR 233/12, am Ende).
f) Kinderbelange
Eine Kündigung kurz vor dem Abschluss der Ausbildung kann zwar eine Härte bedeuten. Dies gilt aber nicht bei einem lediglich verlängerten Schulweg.
g) Pflege von Angehörigen
Auch die Pflege von schwer pflegebedürftigen Angehörigen kann ausnahmsweise zu einer Härte führen, die einen kurzzeitigen Aufschub begründen kann.
2. Interessenabwägung
In einer umfassenden Interessenabwägung müssen die Interessen des Mieters denen des Vermieters gegenübergestellt werden. Welches Interesse überwiegt, entscheidet der Einzelfall.
Im Hinblick auf die Härte gemäß § 574 BGB und gesundheitliche Beeinträchtigungen traf der Bundesgerichtshof (BGH) in einer Entscheidung vom www.juris.bundesgerichtshof.de15. März 2017 (VIII ZR 270/15) folgende Abwägung:
[29] Macht deshalb ein Mieter derart schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen eines erzwungenen Wohnungswechsels geltend, wie sie im Streitfall vorgetragen sowie unter Zeugen- und Sachverständigenbeweis gestellt sind, müssen sich die Gerichte bei Fehlen eigener, auch vorliegend nicht aufgezeigter Sachkunde mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen für den Mieter mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen erreichen können und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann. Erst dies versetzt die Gerichte in einem solchen Fall in die Lage, die Konsequenzen, die für den Mieter mit dem Umzug verbunden sind, im Rahmen der nach § 574 Abs. 1 BGB notwendigen Abwägung sachgerecht zu gewichten.
Abschließende weise ich beispielhaft auf Ausführungen zu einer Abwägung in einem Urteil des Amtsgerichts Köln zu einer Härte wegen einer Knieverletzung und Depressionen sowie wegen einer Verwurzelung vom www.justiz.nrw.de8. Oktober 2012 (Az. 222 C 488/11) hin:
[73] Die lange Mietdauer und eine hierdurch begründete Verwurzelung in der Nachbarschaft führen für sich alleine nicht zu einer Härte (LG Berlin MM 1999, 351; Schmidt-Futterer/Blank § 574 Rn 41), ansonsten würde sich ein faktischer Kündigungsausschluss nach einer gewissen Wohndauer ergeben, den das Gesetz nicht vorsieht. Nach dem Gesetz sollen je nach Wohndauer sich nur die Kündigungsfristen verlängern. Somit ist in diesen Fällen stets zusätzlich die Gefahr nachteiliger Auswirkungen für die Gesundheit des Mieters im Falle des Umzugs zu fordern.
[74] Eine solche Gefahr vermag das Gericht aber nicht zu erkennen. Seine gesundheitlichen Probleme in Bezug auf das Kniegelenk führen nicht zu einer Räumungsunfähigkeit; hier kann er sich ggfs. von einem Umzugsunternehmen helfen lassen. Die behauptete Depression sowie die Auswirkung einer Räumung hierauf hat der Beklagte nicht näher beschrieben, so dass dem nicht näher nachzugehen war.
[75] Soweit der Beklagte noch auf sein geringes Einkommen hinweist, besteht die Möglichkeit, u.a. Wohngeld zu beantragen für eine andere Wohnung. Wobei aber auch Einkünfte i.H.v. 1.200,00 EUR monatlich nicht so gering erscheinen, dass er sich keine andere Wohnung wird leisten können.
III. Mustertext in der Kündigung
Der Vermieter muss den Mieter auf die Möglichkeit des Widerspruches wegen einer Härte hinweisen. Ansonsten kann der Mieter noch im ersten Termin des Räumungsrechtsstreits den Widerspruch erklären, § 574 b Abs. 2 S. 2 BGB.
Unter den Voraussetzungen des § 574 BGB haben Sie nach dem Gesetz das Recht der Kündigung zu widersprechen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses zu verlangen. Die Erklärung, mit der der Kündigung widersprochen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangt wird, bedarf der schriftlichen Form und muss spätestens zwei Monate vor Ablauf der Kündigungsfrist in unserer Kanzlei eingehen.
E. Rosenburg says
Frage:
Wenn nach § 564 BGB außerordentlich gegenüber den Erben gekündigt wird, wo ja kein Kündigungsgrund genannt werden muss und keiner der Erben vorher in irgendeiner Weise am Mietverhältnis oder dem Haushalt des Verstorbenen beteiligt war:
1) muss dann trotzdem auch der Hinweis auf das Widerspruchsrecht gemäß den §§ 574 bis § 574b BGB erfolgen?
2) Wenn ja, kann der Hinweis auch getrennt vom Kündigungsschreiben z.B. 2 Wochen später, aber 2 Monate vor dem Kündigungstermin erfolgen?
Heiner Nill says
Frage:
unser Mietvertrag hat in einem beigefügten Individual-Vertrag folgende Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag geschlossen:
„Die Mieter haben die Absicht, das Haus bis an ihr Lebensende zu mieten, wenn keine unvorhersehbaren Ereignisse eintreten.“
Die Vermieterin hat das unterschrieben. Wir gehen daher davon aus, dass wir unkündbar sind.#
Sehen wir das richtig?
Rechtsanwalt Nippel says
Hallo,
eine korrekte Antwort ist kaum möglich:
Die Zusatzvereinbarung ist für mich nicht verständlich. Ist dort lediglich die Absicht der Mieter fixiert?
Hat die Vermieterin die schlichte Absichtserklärung der Mieter unterschrieben?
Was wollte die Vermieterin mit ihrer Unterschrift ausdrücken?
Im Rahmen einer ordentlichen Kündigung der Vermieterin dürfte die Zusatzvereinbarung durchaus zu berücksichtigen sein – der Sinn und Zweck der Zusatzvereinbarung erschließt sich mir noch nicht …
Grüße
Sönke Nippel
Rechtsanwalt